Bundestagswahl 2021

Energiepolitisches Gesamtkonzept

In den letzten Jahren wurden zur weiteren Stärkung des Klimaschutzes wichtige rechtliche Rahmenbedingungen für die
leitungsgebundene Energieversorgung geändert beziehungsweise geschaffen, so das EEG, das KWKG und – auf europäischer Ebene – der EU-Green Deal mit daraus resultierenden Gesetzen und Verordnungen. Die konkrete Ausgestaltung der Klimaschutzinstrumente wirkt in besonderer Weise auf die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie. Es ist deshalb notwendig, die Wechselwirkungen der Instrumente zu überprüfen und eine Harmonisierung des Instrumentariums herbeizuführen. Widersprüchliche Regulierungen müssen vermieden und der effizienteste Weg zum Klimaschutz
gewählt werden. Nur so kann dem Ziel der Wirtschaftlichkeit einer stabilen Energieversorgung wieder sein angemessener Stellenwert gegeben werden.

Grundsätzlich gilt aus Sicht des VIK

  • Planungssicherheit ist sowohl zum Erhalt des Industriestandortes Deutschland als auch als Grundlage für umfassende Transfomationsprozesse erforderlich.
  • Die Wettbewerbsfähigkeit der Industrie muss im Fokus der Energie- und Klimaschutzpolitik bleiben.
  • Durch ihre Innovationskraft ist die deutsche Industrie die wesentliche Antriebskraft und Problemlöserin auf dem Weg zur europäischen Klimaneutralität 2050.

Handlungsempfehlungen des VIK zur Bundestagswahl 2021

1. Klimaneutralität

Wirksamen Carbon-Leakage-Schutz etablieren
Die neuen Belastungen der Industrie durch das BEHG müssen durch entsprechende Beihilfen kompensiert werden. Effektiver Carbon-Leakage-Schutz beinhaltet eine umfassende Liste der beihilfeberechtigten Branchen und Sektoren sowie eine maßvolle Verpflichtung zu Investitionen als Gegenleistung.

EU-ETS stärken
Andere Sektoren müssen in ein dem EU-ETS vergleichbaren Emissionshandelssystem integriert werden. Um Wettbewerbsverzerrungen bei CO2-Vermeidungsmaßnahmen entgegenzuwirken, sollte erst bei hinreichender Annäherung der Preisniveaus langfristig über eine Verschmelzung in ein einheitliches System nachgedacht werden. Ein Preiskorridor kann die Konvergenz beider Systeme beschleunigen und dadurch Planungssicherheit schaffen. Bei der freien Zuteilung von Emissionszertifikaten muss durch das Mengengerüst eine zusätzliche Kostenbelastung der CO2-sparsamsten Anlagen vermieden werden – die Benchmarks sind entsprechend zu definieren und exportorientierte Branchen sind durch finanzielle Kompensationen zu unterstützen.

Globalen CO₂-Preis etablieren
Um die globale Spitzenposition deutscher Unternehmen auch in Zukunft halten zu können ist es besonders wichtig, international gleiche Rahmenbedingungen für Klimaschutzregulierung (LevelPlaying-Field) zu schaffen. Dazu zählt vor allem die Einführung und Implementierung der gemeinsamen Marktmechanismen eines globalen Emissionshandelssystems, insbesondere im Rahmen der G20.

Innovative Klimaprojekte fördern
Innovative Klimaprojekte müssen durch einen erforderlichen Rechtsrahmen vorangetrieben werden. Die Absicherung der Risiken bei der Finanzierung kann unter anderem durch das Instrument der Carbon Contracts for Difference erfolgen.

2. Transformation der Industrie

Investitionen und Betrieb innovativer und emissionsarmer Technologien fördern
Die Bundesregierung muss in der neuen Legislaturperiode weitere Förderprogramme für die Forschung, Entwicklung und Umsetzung innovativer und emissionsarmer Technologien aufsetzen sowie die bestehenden Programme fortschreiben.

Marktwirtschaftliche Mechanismen fördern
Finanzielle Anreize für Investitionen in grüne Technologien und den Betrieb der Anlagen können nur über Märkte erfolgen. Neue Sektoren wie die Wasserstoffwirtschaft müssen daher zwingend marktwirtschaftlich organisiert werden. Zum Nachweis der Emissionsfreiheit von Wasserstoff geschieht dies zum Beispiel über handelbare Herkunftsnachweise für Strom.

Ein Wirtschaftsklima schaffen, in dem emissionsarme Technologien und die damit erzeugten Produkte wirtschaftlich sind oder werden
Der ambitionierte Einstieg in die Wasserstoffwirtschaft kann nur gelingen, wenn das Produkt „grüner Wasserstoff“ technisch richtig und marktwirtschaftlich sinnvoll definiert ist. Hersteller und Produzenten dieses grünen Wasserstoffs müssen von zusätzlichen Abgaben und Umlagen, zum Beispiel der EEG-Umlage, befreit werden. Das Energiewirtschaftsrecht ist dahingehend anzupassen, dass es diese neuen Akteure und Technologien sinnvoll einbezieht und nicht, wie im Fall der Stromspeicher, vor regulatorische Probleme stellt.

3. Internationale Wettbewerbsfähigkeit sichern

Belastungen durch Abgaben und Steuern auf einem international vergleichbaren Niveau sichern
Um die Abgabenlast der Unternehmen auf ein international vergleichbares Niveau zu bringen müssen die Abschaffung der EEG-Umlage, die Sicherung des Ökosteuerspitzenausgleichs, eine Fortsetzung der Strompreiskompensation geprüft sowie die ausreichende Zuteilung kostenfreier CO2-Zertifikate gesichert werden. Ein erster Schritt wäre die rasche Absenkung der Stromsteuer auf den europäischen Mindeststeuersatz.

Rahmenbedingungen für langfristig stabile und international vergleichbare Commodity-strompreise schaffen
Die bestehenden Carbon-Leakage-Instrumente werden mit hoher Wahrscheinlichkeit langfristig nicht ausreichen, um die Wettbewerbsfähigkeit des Industriestandortes Deutschland und der EU sicherzustellen. Insbesondere mit Blick auf die benötigten Dekarbonisierungsanstrengungen braucht die Industrie Planungssicherheit und ein Level-Playing-Field im Bereich der Stromkosten mit internationalen Wettbewerbsregionen (China/USA/Russland). Um die durch unterschiedliche Förderregime entstandenen enormen Unterschiede im Strompreisniveau auszugleichen, sollte die Etablierung eines einheitlichen Industriestrompreises (ISP) auf europäischer Ebene untersucht werden.

Planungssicherheit schaffen
Eine wettbewerbsfähige Industrie benötigt eine sichere, stabile Energieversorgung zu wettbewerbsfähigen Preisen und Planungssicherheit für die Entwicklung von neuen Geschäftsmodellen und Investitionen in klimaneutrale Technologien.

4. Nachhaltige Energieversorgung sichern

Versorgungssicherheit auch in Zeiten hohen EE-Ausbaus sichern
Um die für die Transformation und die Etablierung einer Wasserstoffwirtschaft notwendigen Mengen an erneuerbar erzeugtem Strom zu gewährleisten, muss der Ausbaupfad der Erneuerbaren und damit auch der Netzinfrastruktur massiv erweitert werden. Die Gasversorgung muss als Brückentechnologie (auch im Sinne der Taxonomieverordnung) erhalten bleiben; der weitere Ausbau der Gasinfrastruktur muss mit der Perspektive der Integration in die Wasserstoffwirtschaft erfolgen. Die Förderung jeglichen Anlagenausbaus hat grundsätzlich auf marktwirtschaftlicher Grundlage zu erfolgen.

Konstruktives Zusammenspiel volatiler Erzeugung und grundlastfähiger Industrie aktiv gestalten
Der erhöhte Anteil der volatilen Stromeinspeisung durch den Ausbau der erneuerbaren Energien stellt neue und erhöhte Anforderungen an das Ausregeln des Erzeugungs- und Entnahmegleichgewichts, die bisher für die Netzbetreiber in diesen Ausmaßen nicht erforderlich waren. Bisher war die wesentliche Kenngröße die Nachfrage, während sich die Erzeugung genau danach zu richten hatte. Die erneuerbaren Energien mit ihrer Volatilität und der gleichzeitigen Einspeisegarantie führen nun zu einer Schwerpunktverlagerung: Die Erzeugung aus erneuerbaren Energien wird als gegeben hingenommen und die Nachfrageseite oder konventionelle Kraftwerke sollten darauf flexibel reagieren können. Die neuen Akteure im Energiesystem wie Prosumer, Speicher, Elektrolyseure oder Sektorkopplungsanlagen wie PtX sind in das Energiewirtschaftsrecht zu integrieren, um Regulierungskonflikte durch die Klassifizierung entweder als Erzeuger oder Verbraucher zu vermeiden.

Doppelvermarktungsverbot aufheben, modernen Markt für Erneuerbaren Strom schaffen
Das seit Jahren im europäischen Kontext etablierte System der Herkunftsnachweise für Strom muss, wie in der RED II gefordert, aktiv als Nachweisinstrument für den glaubhaften Bezug erneuerbaren Stroms genutzt werden.

5. Neue Technologien – neue Instrumente

Wasserstoff
Bei der Umsetzung der Nationalen Wasserstoffstrategie (NWS) müssen Mehrbelastungen für die Industrie vermieden werden. Eine stoffliche Nutzung von Wasserstoff ist einer energetischen Nutzung grundsätzlich vorzuziehen, da bei der energetischen Nutzung weitere Umwandlungsverluste einen größtmöglichen Klimaschutzbeitrag verhindern. Der stoffliche Einsatz in der Stahlindustrie als Reduktionsmittel, das zugleich der Deckung des energetischen Bedarfs dient, sollte einer reinen stofflichen Nutzung gleichgesetzt werden.

CCfD als Finanzierungsinstrument
Carbon Contracts for Difference sind ein wichtiges Finanzierungsinstrument, um langfristig Investitionen in neue Technologien sicherzustellen. Dieses sollte, über die Anwendung im Bereich der Wasserstofferzeugung hinaus, auch auf die Anwendung industrieller Dekarbonisierungsprojekte ausgedehnt werden. Preisstabilisierende Mechanismen im Emissionshandel können die nachhaltige Finanzierung von CCfDs unterstützen.

Neue Technologien – CCU/S
Für eine effektive Reduktion nicht vermeidbarer CO2-Prozessemissionen bedarf es einer Weiterentwicklung der Kreislaufwirtschaft und dem Aufbau einer integrierten Strom-Wasserstoff-CO2-Infrastruktur. Pilotprojekte zu CCU/CCS müssen daher aktiv gefördert und bis zur Marktreife unterstützt werden, um Klimaneutralität auch in diesen Branchen zu ermöglichen.

6. Ein modernes Energiesystem schaffen

Energieeffizienz – Flexibilität
Eine Steigerung der Energieeffizienz muss eine gesamtgesellschaftliche System- und Kostenoptimierung umfassen, und physikalische Grenzen und wirtschaftliche Voraussetzungen explizit berücksichtigen. Regulatorische Instrumente dürfen nicht gegenläufig gestaltet werden. Im Rahmen einer ganzheitlichen Effizienz- und Klimapolitik müssen unternehmerische Freiheiten und wirtschaftliches Wachstum weiterhin möglich sein.

Abgaben und Umlagensystem modernisieren
Investitionen in Infrastruktur und die Integration der erneuerbaren Energien, insbesondere in flexible Fahrweise, dürfen nicht automatisch zu höheren Netzentgelten führen. Netzdienliches Verhalten muss sich positiv auf die Netzentgeltbelastung auswirken.

Versorgungssicherheit im Rahmen des EU-Green Deals
Die EU-Taxonomieverordnung und weitere Aktivitäten in Bezug auf Sustainable Finance dürfen nicht zu Barrieren in der Investition und dem Betrieb von KWK-Anlagen und Gaskraftwerken führen. Gerade vor dem Hintergrund des Ausstiegs aus der Kohleverstromung müssen Versorgungssicherheit und Netzstabilität
weiterhin gewährleistet sein.

7. Transformation auf globaler, europäischer und nationaler Ebene

Globaler Fokus dort, wo immer möglich
Die deutsche Industrie bekennt sich klar zum Klimaschutz und zu den 2050-Zielen und hat einen ambitionierten, jedoch notwendigen Transformationspfad eingeschlagen. Sie hat ihre CO2-Emissionen seit 1990 um rund ein Drittel gesenkt – und das, obwohl die Produktion im gleichen Zeitraum um mehr als 40 Prozent gestiegen ist. Noch viel größere Erfolge sind für die Erreichung der 2050-Ziele nötig. Dazu braucht es aber einen verlässlichen regulatorischen Rahmen, der mindestens auf Ebene der G20, idealerweise aber für alle UN-Staaten gilt. Nationale Alleingänge schaffen in der Regel mehr Probleme als Lösungen.

Wettbewerbliche Ausrichtung der Implementierung des
EU-Green Deals

Der VIK erwartet von der Politik die Schaffung eines regulatorischen Rahmens, in dem Technologien entstehen und marktfähig werden können. Dieser Rahmen muss europaweit harmonisiert werden; einseitige Mehrbelastungen für die deutsche Industrie müssen vermieden werden. Letztlich gilt es, die europäischen Bemühungen auch global anschlussfähig auszugestalten.

Alle gesellschaftlichen Akteure nach ihren Fähigkeiten und Möglichkeiten einbinden
Durch die Transformation zur Klimaneutralität entstehen gesamtgesellschaftliche Kosten. So etwa für die Entwicklung neuer Energieerzeugungstechnologien, die stete Verbesserung der vorhandenen und den Aufbau neuer Leitungsinfrastrukturen, mit der Energie beziehungsweise Energieträger von dezentralen Erzeugungsstandorten zum Endverbraucher transportiert werden. Die Wertschöpfungsketten müssen entlang ihrer gesamten Länge und anhand ihres Potentials zur Treibhausgasreduktion und ihrer spezifischen CO2-Vermeidungskosten betrachtet werden, um diese Transformation erfolgreich durchzuführen.

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