Auswirkungen auf die deutsche Energie- und Wirtschaftspolitik in Folge des Krieges gegen die Ukraine

Der von Wladimir Putin entfesselte Krieg Russlands gegen die Ukraine ist vor allem für die Zivilbevölkerung des angegriffenen Landes eine Katastrophe. Mit tiefer Anteilnahme sind unsere Gedanken bei den Menschen in der Ukraine.
Der Krieg markiert außen- und sicherheitspolitisch eine Zäsur und dürfte auch tiefgreifende Auswirkungen auf die deutsche Energie- und Wirtschaftspolitik entfalten. Aus Sicht des VIK und seiner Mitglieder kann die in den vergangenen Jahren immer weiter gewachsene Abhängigkeit von Energie- und Rohstoffimporten aus Russland, insbesondere Erdgas, so nicht fortgesetzt werden. Das hat Konsequenzen für die deutsche Energiewende.

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Position des VIK zur drohenden Gasmangellage und dessen aktuellen Forderungen

Hintergrund

Industrie und industrieller Mittelstand beobachten die Entwicklung der Gasversorgung seit Kriegsbeginn sehr aufmerksam und bemühen sich, Vorbereitungen zu treffen. Der VIK hat sich bereits wiederholt zu einer drohenden Gasmangellage positioniert und äußert vor dem aktuellen Hintergrund folgende Vorschläge und Forderungen:

Forderungen des VIK:

  1. Die Bundesnetzagentur (BNetzA)

Die Bundesnetzagentur (BNetzA) hat zur Vorbereitung in den letzten Wochen umfangreiche Daten bei zahlreichen Unternehmen angefordert, die Rede ist von ca. 2.500. Nun obliegt es der BNetzA, diese Daten unverzüglich auszuwerten zur Grundlage eines Managementplans für eine Gasmangellage. Die Zeit drängt, eine Auswertung bis Herbst 2022 ist dem Ernst der Lage nicht angemessen. Anzuraten ist ferner eine transparente und proaktive Kommunikation über den Fortgang, Trends, Zwischenergebnisse, wesentliche Erkenntnisse. Das kann Unternehmen helfen, sich auf eine kommende Gasmangellage rechtzeitig einzustellen und Vorbereitungen zu treffen.

 

  1. Auktionsmodell für verfügbare Gasmengen

Marktliche Mechanismen dürften am ehesten in der Lage sein, verfügbare Gasmengen effektiv und effizient zu verteilen. Der VIK spricht sich für ein Auktionsmodell für knappe Gasmengen in Anlehnung an die Gasbörse aus, um diese zu verteilen. Hier sind seitens der Bundesregierung mehrfach allgemeine Ankündigungen gemacht worden, die jetzt so schnell wie möglich kommuniziert und im Dialog mit der Industrie überprüft und ggf. weiter entwickelt werden müssen.

 

  1. Ratierliche Kürzungen der Gasversorgung

Ratierliche und pauschale Kürzungen der Gasversorgung („Rasenmäherprinzip“) sind als Reaktion zu vermeiden. Sie nehmen keine Rücksicht auf unterschiedliche Anlagenspezifika und technische Notwendigkeiten. Systemrelevanz von Produkten, Lastgrenzen, Mindestlasten, An- und Abfahrzeiten, Flexibilitäten können im Falle pauschaler bzw. ratierlicher Kürzungen nicht mehr berücksichtigt werden. Zudem kann ihre Wirkung auf verschiedene Wertschöpfungs- und Lieferketten vorab nicht sicher abgeschätzt werden. Unkalkulierbare negative Auswirkungen wären die Folge. Über effizientere Methoden muss dringend offen gesprochen werden (s. Nr. 2), die Industrie sollte hier einbezogen werden.

 

  1. Kurzfristige Einschränkungen der Gasversorgung

Unbedingt zu vermeiden sind sehr kurzfristige Einschränkungen der Gasversorgung auf Ebene einzelner Anschlusspunkte. Die Betriebe müssen auf jeden Fall die Möglichkeit erhalten, sich auf einen Lieferrückgang beim Gas einzustellen. Außerdem sind Informationen über die mittelfristige Versorgungssituation nötig, um eine gewisse Planbarkeit und damit Wertschöpfungsketten möglichst zu erhalten. Außerdem sollten wochen- statt tageweise Kürzungen angestrebt werden, wenn nötig, damit zumindest noch an einigen Tagen mit vollem Erdgaseinsatz produziert werden kann und die Lieferketten darauf (am besten europäisch) abstimmbar sind.

 

  1. Flexible Verwendung von Gaskapazitäten

Bei Eintritt der Gasmangellage ist es sehr wichtig, den betroffenen Unternehmen ein Zeitfenster einzuräumen, um Reaktionszeit zu gewinnen für ein z. B. geordnetes Herunterfahren von Anlagen. Das bedeutet auch, notfalls bereits vor dem 1. November 2022 auf das bereits in den Speichern vorhandene Gas vorübergehend zurückzugreifen. Erdgas-Fehlmengen könnten zunächst aus den Speichern bedient werden, um sie anschließend nach einem definierten Zeitraum über geordnete Auktionen wieder für die Einspeicherung zurückzugewinnen. Damit entfällt die Kurzfristigkeit für die Unternehmen und der Regulierer muss keine Entscheidungen über Abschaltungen treffen. Die Kosten für die verstärkte Einspeicherung werden auf alle Netzkunden umgelegt, daher sollten nicht nur die privilegierten Kunden von den Speichern profitieren. In der Gasmangellage muss den Unternehmen ermöglicht werden, dass sie mit den ggf. verbleibenden Mengen untereinander handeln. Es muss ferner ermöglicht werden, dass verschiedene Produktionsstandorte notfalls nacheinander laufen können, um Wertschöpfungsketten nicht vollends zum Erliegen zu bringen. Hilfreich dürfte hier eine differenzierte Betrachtung mit Blick auf die Situation hinter den Knotenpunkten des Gasnetzes sein.

 

  1. Energiesicherungsgesetz § 24

Hoch problematisch ist, dass bestehende rechtliche Regelungen einem effektiven Umgang mit einer Gasmangellage entgegenstehen. Sie müssen kurzfristig angepasst werden. Es handelt sich dabei ganz besonders um den § 24 des Energiesicherungsgesetzes (EnSiG). Die Absicht, die Gasimporteure und -lieferanten zu schützen, unterstützt der VIK. Aber die Industrie kann nur bis zu einem bestimmten Punkt weitere Erhöhungen der ohnehin schon hohen Gaspreise tragen. Vielen Unternehmen droht früher oder später die Produktionsreduzierung oder gar die komplette Produktionseinstellung. Dies hätte fatale Folgen für die deutsche und europäische Wirtschaft. Die Preissicherungen sind relevant für die Absicherung der Lieferverpflichtungen der Industrie gegenüber ihren Kunden.  Es muss daher eine Regelung für die Industrie getroffen werden, um die preislichen Belastungen für Industriebetriebe so niedrig wie möglich zu halten. Gerade in Phasen einer Unterbrechung würde eine unkontrollierte Preisspirale das Problem weiter verschärfen.

 

  1. Strom-Netzentgeltverordnung § 19

Der VIK hält es außerdem für dringend nötig, eine Ausnahme für §19 StromNEV zu den individuellen Netzentgelten aufzunehmen, die im Falle einer Beschränkung der Gasliefermengen für einen Standort die Anforderung der jährlichen Betriebsstunden in Höhe von 7.000 Betriebsstunden aussetzt. Im Falle einer Gasmangellage oder einer Einschränkung

des Betriebs von Gaskraftwerken, könnte es zu betrieblichen Produktionseinschränkungen kommen, die außerhalb des Handlungsspielraums der Unternehmen wären. Die Erfüllung der 7000 Std. Regelung wäre für betroffene Unternehmen in dieser einmaligen Situation unmöglich. Die Folge wären erhebliche finanzielle Mehrbelastungen.

 

  1. Weitere rechtliche Regelungen

Eine zu erwartende stärkere Kohleverstromung und der damit einhergehende erhöhte Ausstoß von Klimagasen führt zu Konflikten mit den Klimazielen. Es sollte hinterfragt werden, dass nach dem Kohleverstromungsbeendigungsgesetz (KVBG) der Kohleausstieg unverändert vorangeht, ganz aktuell läuft eine Ausschreibung über 700 MW installierter Kraftwerksleistung. Das sendet in der Krise die falschen Signale, hier ist ein Moratorium angezeigt. Auch das Auslaufen der Verordnung über Abschaltbare Lasten (AbLaV) am 30. Juni 2022 passt nach unserer Ansicht nicht in die gegenwärtige Krise. Gerade in Zeiten ungewisser Versorgungssicherheit sind Flexibilitäten für die Netzstabilisierung umso wertvoller.

 

 

 

THE veröffentlicht angepasstes Konzept der Methodik für eine Speicherumlage nach §35 EnWG (Gasspeichergesetz)

Der VIK hatte sich neben weiteren 18 Verbänden und Unternehmen im Juni 2022 an einer Konsultation der BNetzA zu der von THE vorgelegten „Methodik einer Umlage nach §35e EnWG zur Sicherung der Füllstandsvorgaben für Gasspeicheranlagen“ (Speicherumlage) beteiligt.

Die BNetzA hat nunmehr das geänderte Umlagekonzept vorgelegt. Die Speicherumlage soll vom 1.10.2022 bis zum 1.1.2025 erhoben werden und dient der Finanzierung der Instrumente zur Speicherbefüllung (z.B. SSBOs, Gasbeschaffung).

Alle Dokumente können hier aufgerufen werden.

Relevante Änderungen sind:

  • Mit Ausnahme der ersten und letzten Umlageperiode wurde die Umlageperioden von drei auf sechs Monate erweitert (jeweils zum 1.1. und 1.7.). Der VIK hatte hier eine entsprechende Prüfung angeregt, um die Planbarkeit für Marktteilnehmer zu verbessern.
  • THE wird im Gegensatz zum ursprünglichen Konzept auf die Anwendung des Liquiditätspuffers verzichten. THE weist darauf hin, dass sich damit die Prognoseunsicherheit erhöhe, weshalb die Notwendigkeit gesehen wird, an markanten Zeitpunkten zu Beginn und zum Ende der befristeten Umlage eine dreimonatige Umlage anzusetzen.
  • Unsere Anregungen hinsichtlich der Bereitstellung von Berechnungsdaten und die Klarstellung zum Umgang mit Ausschüttungen von Überschüssen an ausgeschiedene BKV wurden im angepassten Konzept aufgegriffen.

 

 

 

Stellungnahme des VIK zum Krieg in der Ukraine und den Schlussfolgerungen für die deutsche Industrie

1. Die Sicherheit der Versorgung mit Brennstoffen und Strom ist vorrangig. Daher muss vorbehaltlos alles geprüft werden, was dazu beitragen kann. Das gilt neben einem beschleunigten Ausbau der erneuerbaren Energien ausdrücklich auch für die Ausstiegsszenarien aus der konventionellen Energieerzeugung. Eine Prüfung regulatorischer Hemmnisse ist durchzuführen, diese sind eventuell temporär und konditioniert zu modifizieren.
2. Die erneuerbare Erzeugung soll die Abhängigkeit von fossilen Energieträgern reduzieren. Zusätzliche Kapazitäten in nennenswerter Größe werden aber erst mittel- bis langfristig zur Verfügung stehen. Die kurzfristig wirksamen Maßnahmen zur Versorgungssicherheit sind so zu gestalten, dass die darüber hinausreichenden Zielsetzungen des Klimaschutzes und der industriellen Transformation zur Klimaneutralität ihre Gültigkeit behalten.
3. Die Identifizierung und Mobilisierung zusätzlicher Kapazitäten vor allem der Erdgasversorgung ist von großer Bedeutung; gleiches gilt für Möglichkeiten, Erdgas durch andere Energieträger mindestens vorübergehend zu ersetzen.
4. Die Energiepreise befinden sich auf einem Rekordniveau. Sie waren hoch und sind mit Ausbruch des Krieges weiter gestiegen. Eine Entlastung auch industrieller Verbraucher von staatlich induzierten Preisbestandteilen (Steuern, Abgaben, Umlagen, Zertifikate) ist unerlässlich.
5. Deutschland verfügt über eine Notfallplanung für die Erdgasversorgung, die jedoch mit Bezug auf die Industrie weiterentwickelt werden sollte. Der Notfallplan Gas ist daher unter Einbeziehung der Industrie unverzüglich in dieser Hinsicht zu überarbeiten.

Lesen Sie hier die gesamte Stellungnahme